Mittwoch, 11. Januar 2006

Abschied von Elea

Wo fang ich an, etwas über Eleas Beerdigung zu schreiben? So viele Stücke der Geschichte. Viel zu komplex das alles.

Danke an alle, die uns ihre Texte, Wünsche und Grüße anvertraut haben. In Schriftform, in Bildern, als Worte, als Visualisierung. Ein bisschen war die Reise wie eine Mission. Aber es war gut so, es passte.

Auch Dank an die Leute, die Geld für die lange Fahrt gegeben haben. In Deutschland irgendwohin gekommen, ohne es lang vorher gebucht zu haben, wird immer teuerer und ist für uns gerade nahezu unbezahlbar. Und Baienfurt ist nicht nah an Berlin, Luftlinie allein 600 Kilometer, Autokilometer etwa 900.

Die sind wir dann gestern auch in zehn Stunden zurückgefahren. Freie Autobahnen, null Kilometer Stau, ein kleines aber schnelles Mietauto, eine Fahrerin, die ihre Sache top gemacht hat.

Auch die Hinfahrt mit der Bahn (Wochenendticket, 13 Stunden und zehn Minuten Zugfahrt, acht mal Umsteigen von einem Nahverkehrszug zum anderen) verlief absolut Spitze. Keine Verspätungen, alle Anschlüsse funktionierten, wir hatten sogar in den vollsten Zügen (die trotzdem erstaunlich leer waren im Vergleich zu ähnlichen Touren) Sitzplätze.

Das lief alles so glatt, dass wir uns das nur mit den Wünschen der vielen magisch arbeitenden Leute, die wir „im Gepäck“ hatten und vielleicht ja auch Eleas erklären können. Merci. :)

Übernachtet haben wir bei Brigid (eine der Vollmondinnen) und Matthias im Nachbarort. Montag Abend kam Grainne. Die drei Frauen und ich waren dann auch bei der Beerdigung am Dienstag dabei.
Montag haben Nora und ich ein paar Stunden mit Eleas Bruder verbracht, der uns zum Essen eingeladen und die Stadt Weingarten gezeigt hat. Anschließend waren wir mit Brigid im Wald um die Stadt. Mich hat die Gegend ein bisschen an das etwa 100 Kilometer nördlich gelegene Heidenheim an der Brenz erinnert, wo ich ein halbes Jahr lang gelebt hab.

Abends gab´s leckeres Essen, Sonnenblumen malen auf die Briefe der Vollmondinnen an Elea - die Briefe der anderen haben wir gelassen, wie sie waren - und ein paar Stunden quatschen.

Was war ich vom katholischen Gottesdienst am Dienstag Morgen begeistert. Hab ja keine Ahnung davon aber wie ich gelernt hab, war es ein Standardgottesdienst für Elea und eine weitere Verstorbene. Nun ja. Es schien Pflichtprogramm für die Familie zu sein. Der Priester war mäßig, singen konnte er nicht, versuchte es aber seltsamerweise, seine Texte kannte er nicht, selbst Standardsätze musste er lesen. Energien sind bei mir nicht angekommen. Irgendeine Art von Gefühl auch nicht.

Und was uns der Mensch in Lila über den ungläubigen Thomas erzählen wollte ... *gähn* Kein Vergleich zu einigen anderen christlichen Gottesdiensten. Nächstes Mal seh ich mir das im Fernsehen an. Für so eine schlechte Show gab´s auch keine Spende. Papst und Bischof wollte ich ebenfalls nicht grüßen.

Ich weiß nicht, wie sich Brigid und Grainne beteiligt haben, wir saßen nicht zusammen. Wahrscheinlich nicht mehr als beobachtend. Nora und ich sind jedenfalls schon aufgefallen, als wir die Gebete nicht mitgesprochen, uns nicht niedergekniet haben. Da draußen auf dem Land scheinen strenge Sitten zu herrschen.

In der ... ich denk Aussegnungshalle heißt das auf katholisch ... standen wir vier dann wieder zusammen. Gelegenheit, die Grüße an Elea weiterzugeben, die keine materielle Form hatten. Ich konnte nicht genau feststellen ob die wuselige Unkonzentriertheit am anderen Ende der Leitung von ihrer Aufregung kam oder ob es nur noch die Spuren Eleas waren, in die hinein ich Worte und Bilder hinter ihr herschickte. Sei es, wie es sei.

Ihr Bruder hatte Grönemeyers Lied „Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet...“ ausgewählt. Und zum ersten Mal an diesem Vormittag wurden die tatsächlichen Emotionen vieler Trauergäste sichtbar, fielen einige Masken. Gute Wahl Mike. Danke. Wir vier haben uns still in den Armen gelegen (und sind mal wieder aufgefallen *gg*) und jede/r auf ihre/seine Weise getrauert.

Für mich war in diesem Moment klar, dass Elea vorerst aus meiner Existenz verschwunden ist. Ich werde sie in Erinnerung behalten, sie hat Spuren hinterlassen. Oder Tatsachen. Dinge die sie bewirkt hat, die nicht mehr verschwinden, die in mein Leben eingeflossen sind und sich mit vielen anderen Dingen zu dem verweben werden, was ich bin und sein werde. Dies wird ein Teil ihres Weiterlebens sein. Aber auch dass es jetzt darum geht, ohne sie mit denen weiterzuleben die da sind, die kommen werden. Auch mit dem Kind, das Nora im Bauch hat.

Tot ist Leben, Leben ist Tod. Es bedeutet nicht, sie zu vergessen: Aber Hier ist Hier und Jetzt ist Jetzt. Eleas Weise auf diese Realität Einfluss zu nehmen, hat sich gewandelt. Es ist ihr Weg. Soll sie ihn gehen. Soll sie gehen. Mit den besten Wünschen. :)

Ich hatte mich an Grainnes Gedanken vom Abend davor erinnert. Wir hatten an diesem Abend viele gute Gespräche, ich brauchte mit Matthias und Grainne, die ich beide nicht kannte, kaum Aufwärmzeit, obwohl sicher noch vieles Möglich wäre. Wir haben gut gegessen und gelacht. Grainne meinte, wenn Elea hier gewesen wäre, hätte sie ihren Spaß gehabt. Den hatten wir auch, trotz oder gerade wegen des Anlasses? Egal. Es war gut und das ist, was das Leben ausmacht ... auch am Ende, auch in den Übergängen.

Wahrscheinlich hat der Priester- glücklicherweise ein anderer als in der Kirche - in seinen Worten anschließend etwas ähnliches, wenn auch nicht ganz dasselbe gemeint.

Seine Rede war wie wahrscheinlich fast alle dieser Reden sind. Ihr Leben hat ihn beeindruckt, als er davon hörte, sagt er. Wegen der extrem schweren Behinderung und dem, was sie trotzdem geleistet hat. Vielleicht stimmt es sogar, vielleicht war er beeindruckt.
Aber die Daten der Biografie, versehen mit ein paar beschönigenden Adjektiven und gekürzt um alle Zusammenhänge sagten nichts - und niemandem der Anwesenden etwas. Fast alle wussten wohl, was Elea getan hat. „Aha, sie war sogar im Vorstand des Bundesverbandes ihres Muskelvereins.“

Nebensächliche Details in Anbetracht dessen, was der Mann nicht gesagt hat, nicht sagen konnte - kein Vorwurf, es ist nicht sein Aufgabe, das zu wissen. Er kann nicht warum fragen, jedenfalls nicht zu einem ganzen Leben.

Ich möchte keine Zeremonien leiten, bei denen ich viel reden muss über mir unbekannte Menschen und bei denen mir kaum jemand zuhört.

Die anschließende Rede einer Vertreterin der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke, deren Vorstandmitglied Elea war, enthielt viel Pflicht aber auch einiges an Kür. Wer Ohren hatte zu hören, konnte Worte wie „über die Grenzen der Religionen hinweg“ mitnehmen. Viel für eine katholische Beerdigung im tiefen Süden Deutschlands.

Ob Pflicht oder Kür weiß ich nicht aber treffend war ein Satz der mir bezüglich Elea im Ohr geblieben ist: Sie hat uns gezeigt, dass Stärke keine Frage der Muskeln ist. Ja hat sie. Ich hab mich kurz gefragt, warum eine Stunde vorher beim Gottesdienst der einzige Rollifahrer - ich hatte ihn auf DGM-Bildern schon gesehen und ahne wer er ist und was er für Elea war - ganz hinten in der Kirche, hinter allen Bänken saß.
Götterse, ihre Oblaten hätten sie auch dann noch verteilen können, wenn neben der dritten Reihe im Mittelgang ein Rolli steht. Was soll die Abgrenzung?!
Gut, dass die Frau da war. Sie repräsentierte einen wichtigen öffentlichen Teil von Eleas Leben. Auch wenn ihr nicht viele wirklich zugehört haben.

Eine der Vollmondinnen hatte ein paar persönliche Worte an Elea geschrieben. Nora sollte sie vorlesen. Und auch das war gut. Es war die nicht öffentliche Seite ihres Lebens. Eine Seite, die viele nicht kannten. Viele auch nicht kennen durften, und zwar nicht weil Elea es geheim halten wollte.
Auch wenn Petras Text „harmlos“ war bei einer katholischen Zeremonie, er erregte die Aufmerksamkeit der ZuhörerInnen.

Schon als Nora einfach nur sagte: „Ich bin Nora.“ hat sie viele aufgeschreckt. Einfacher Satz, weiche aber klare Stimme. Etwas geschah, das die meisten nicht erwartet hatten auf einer Beerdigung. Bruch des üblichen Schauspiels. Ein Lächeln auf dem Gesicht von Elea Bruder. Ein interessierter Blick - der erste in dieser Halle - ihres Vaters. Die Mutter konnte ich nicht sehen.

Einige Minuten schimmerte ein Bild von Elea im Saal, das den Realitäten und ihren Bedeutungen näher kam, als vieles was wir vorher gehört hatten. Die kurze Erklärung, was die Vollmond-Liste ist, haben viele eher nicht verstanden. Viele von Petras Bilder blieben für manche ZuhörerInnen sicher verschlossen. Der Priester soll, so Mike hinterher mit spitzbübischem Lächeln, zweimal etwas gezuckt haben.

Aber der Kern der Aussage kam deutlich rüber. Es waren gut gewählte Worte, es war keine Demonstration, sondern ein ruhiger fließender Text über Trennung und Verbundenheit in einem Netz.

Ruhig trotz der Aufgewühltheit, der Gefühle von denen die Rede war. Text und Vortrag passten gut zusammen. Es war wirklich keine Demonstration aber es war deutlich, dass Elea eingewoben war in ein Netz von Menschen, dass sie eine wichtige Rolle spielte, ganz unabhängig von Wahlämtern und sozialen Stellungen. Dass sie in einem - für viele Anwesende wahrscheinlich unvorstellbar großen - Netz von Menschen einer der Knotenpunkte war. Wir haben das hinterher noch einmal Mike erklärt, in der Hoffnung, dass es irgendwann auch die Eltern verstehen werden.

Nora hat den Text für Petra vorgelesen. Angekommen ist er eher als Text der Vollmondinnen. Dazu gehöre ich zwar nicht und einiges aus dem Text war auch nicht meins - logisch - trotzdem stand er in gewisser Weise auch für mich und sicher viele andere von Eleas heidnischen FreundInnen und Bekannten. Nicht unbedingt in seinen Inhalten aber in der dahinter liegenden Intention. Und auch für eine Elea, die eben nicht in dieser Weise „in Christus gestorben“ ist - wäre es wenigsten bei den Leuten die der Priester in der Regel beerdigt mehr als eine kraftlose Floskel. Oder für die, die sich über die - ich nenn´s mal Gebetshaltung der beiden Vollmondinnen bei Noras Vortrag gewundert haben.

Die schlichte Klarheit konnte der Priester hinterher weder wegbeten noch wegräuchern. Da half auch Weihrauch nachlegen nichts. Eher im Gegenteil.
Der Text dürfte in einigen Trauergästen mehr nachwirken, als Priesters Vortrag am Beginn. Gut so. Die Welt ist bunt.

Der Sarg wurde nicht erst ins Grab gelassen, sondern stand darüber als die Trauergäste ihren letzten Abschied nahmen. Wir waren fast die letzten vor der Familie. Unsere Bilder, Rollen und Briefe bildeten den Abschluss des Schmucks vor dem Sarg und ich hoffe, sie sind letztlich auch in der Erde gelandet.

Wir kamen nicht umhin noch einmal aufzufallen. Als sich Brigid, Grainne und Nora mit einem kurzen Chant von Elea verabschiedet haben. „Leben und Sterben und Wiedergeboren werden“. Der Priester war schon weg und die Familie wird es nicht genau gehört haben ...

Ich hatte bei diesem „Auffallen“ nie das Gefühl, es zu überdrehen. Es war gut, es passte dahin, es stimmte einfach. Wir haben die Nähe nicht herbeizureden versucht. Wir _waren_ ein/das Netz, in dem Elea lebte. Vier Punkte, die alle ihre eigene individuelle Verbundenheit mit ihr haben aber auch Teil von viel mehr sind. Deswegen stimmte das mit der reibungslosen Fahrt, deswegen war der Abend vorher okay. Deswegen stimmte auch das Mitnehmen von Texten und Bildern. Vier Punkte eines ganzen Netzes. Wir gehörten da hin. Alles andere wäre gelogen.

Oft stimmte das Procedere der Amtskirche nicht, habe ich es förmlich als übergriffig empfunden. Weniger gegen mich, das interessiert mich kaum. Aber ich hab mich öfter gefragt, ob die Kirchenmänner eine Vorstellung haben, was sie da vollziehen. Und mit wem. Und warum.
Dieses selbstverständliche „So ist es“ hat mich stark an das vordergründige Gehabe der SED-Funktionäre erinnert. Immerhin schaffte es einer der beiden Priester noch zwischen „Mitchristen und Trauernden“ zu unterscheiden.

Aus dem „kleinen Imbiss für nahe Verwandte und weitgereiste Gäste“, an dem wir vier dann noch teilnahmen, wurde ein gutes Essen. Gelegenheit ein paar Worte mit Eleas Eltern zu wechseln. Schwierig zwar, weil ich noch nie in deren Weltbild gepasst hab, sondern seit sieben oder acht Jahren der Spinner aus Berlin bin. Dennoch gelang es uns für einen Moment, eine Geste lang über die Schatten zu springen, auch über die Grenzen der Konventionen.

Dank an Mike für die persönliche Betreuung. Vieles wäre sicher weitaus schwieriger geworden ohne ihn. Und vor allem auch an Brigid, für´s Abholen, Betten machen, Essen planen und kochen ... in der Gegend auskennen. :)

Ach ja und die vielen hexischen, heidnischen, magischen, esoterischen Bücher von Elea werden wahrscheinlich an Vollmond gehen. Als eine Art Bibliothek oder so was. Noch eine Struktur bei der Elea ihre Finger im Spiel hat ... pardon eingewoben ist. ;)

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